Juni 19, 2019
Regulatory eHealth Digitalisierung Telematik

Digitale Versorgung Gesetzt – App auf Rezept

Um die digitale Transformation der Gesundheitsversorgung in Deutschland voranzutreiben, müssen aus Sicht des Zentralverband Elektrotechnik- und Elektronikindustrie e.V. (ZVEI) die gesetzlichen Rahmenbedingungen des deutschen Gesundheitssystems dringend angepasst werden. „Der Entwurf des „Digitale Versorgung Gesetz“ (DVG) enthält erste wichtige Schritte, mit denen die Digitalisierung der Gesundheitsversorgung vorangebracht wird“, so Hans-Peter Bursig, Geschäftsführer des ZVEI-Fachverbands Elektromedizinische Technik. „Der ZVEI unterstützt diese Schritte, sieht aber bei den einzelnen Aspekten noch Anpassungsbedarf.“

Dr. Marc-Pierre Möll, Geschäftsführer BVMed. Bild: BVMed / René Staebler

So befürchtet der Verband bei der Entwicklung digitaler Innovationen Wettbewerbsverzerrungen, sollten Krankenkassen diese allein betreiben können. Deshalb setzt sich der ZVEI dafür ein, die Zusammenarbeit von Krankenkassen und Medizintechnikherstellern zu stärken (§ 68a Satz 2). So könne die Qualität und Wirtschaftlichkeit der Versorgung deutlich verbessert werden. Zusätzlich sollten aus ZVEI-Sicht Verträge zwischen Krankenkassen und Medizintechnikherstellern über die Versorgung von Versicherten mit digitalen Angeboten nicht nur Medizinprodukte niedriger Risikoklassen, sondern das gesamte Spektrum einbeziehen (§ 140a Absatz 4a Satz 6).
Nutzenbewertung, Datennutzung und elektronische Patientenakte

Für die Aufnahme von digitalen Versorgungsangeboten in das Verzeichnis der digitalen Gesundheitsanwendungen müssen positive Versorgungseffekte nachgewiesen werden (§ 139e Absatz 2 Satz 2 u. 3). Dazu gehören u. a. eine bessere Koordinierung der Versorgungsabläufe, die Förderung von Patienteninformation und -souveränität sowie die Bewältigung krankheitsbedingter praktischer Schwierigkeiten. „Für deren Nachweis sollten jedoch vereinfachte Anforderungen an den Nutzennachweis gelten“, so Bursig. Bezogen auf die semantische und syntaktische Interoperabilität der elektronischen Patientenakte spricht sich der der ZVEI ausdrücklich dafür aus, dass die relevanten Stakeholder im Gesundheitswesen, z.B. Medizintechnikhersteller, durch die Kassenärztliche Bundesvereinigung nicht nur ins Benehmen gesetzt werden, sondern dass die Ausgestaltung der Akte im Einvernehmen erfolgt. Außerdem sei es essenziell, internationale Standards und Normen anzuwenden. Abweichungen seien nur bei spezifischen Anforderungen der deutschen Gesundheitsversorgung zuzulassen (§ 291h Absatz 3 Satz 1, 2 u. 3).

Bursig: „Um die Chancen einer digitalisierten Gesundheitsversorgung nutzen zu können, ist es zudem von besonderer Bedeutung, dass Versicherte die Daten ihrer elektronischen Patientenakte an Dritte mit einem nachweisbaren berechtigten Interesse weitergeben können – für Forschung und Lehre oder an Hersteller von Medizinprodukten, z. B. zum Trainieren von Algorithmen für KI-basierte medizinische Unterstützungssysteme.“

BVMed-Stellungnahme zum DVG: "Gute Ansätze weiter ausbauen"
Der Bundesverband Medizintechnologie (BVMed) sieht im Digitale Versorgung-Gesetz (DVG) "viele gute Ansätze, um einen zügigen Zugang zu digitalen Lösungen zu gewährleisten", schlägt aber beim Geltungsbereich und der Unterstützung telemedizinischer Lösungen weitergehende Regelungen vor. "Positiv ist aus unserer Sicht, dass das Verzeichnis über digitale Gesundheitsanwendungen zentral geführt wird. Das trägt auch zur Transparenz bei, so dass der Patient und der Arzt als Verordner über die verschiedenen Versorgungsoptionen informiert sind", heißt es in der BVMed-Stellungnahme zum Gesetzentwurf.

Grundsätzlich bewertet der BVMed die Regelung zur Verordnung und Finanzierung digitaler Gesundheitsanwendungen (§ 33a SGB V) positiv. Der niedrigschwellige und patientenfreundliche Ansatz ermögliche, "dass die Lösungen auch tatsächlich Einzug in die Versorgung halten", so BVMed-Geschäftsführer Dr. Marc-Pierre Möll. Den Geltungsbereich der Regelungen möchte der BVMed aber über die Medizinprodukte-Klassen I und II a hinaus ausweiten. Hintergrund ist, dass die EU-Medizinprodukte-Verordnung strengere Anforderungen an klinische Bewertungen bzw. klinische Prüfungen von Medizinprodukten und höhere Anforderungen an die technische Dokumentation einführt. Dieses hohe Niveau für die Sicherheit und Leistungsfähigkeit der in Verkehr gebrachten Medizinprodukte gelte auch für digitale Medizinprodukte. "Es ist deshalb nicht nachvollziehbar, weshalb der Gesetzgeber sich bei der Neuregelung für digitale Gesundheitsanwendungen allein auf die Klassen I und IIa begrenzen will", so der BVMed in seiner Stellungnahme.

So sei eine Vielzahl der von BVMed-Mitgliedern angebotenen digitalen Gesundheitsanwendungen mit Medizinprodukten aufgrund der Zuordnung der Risikoklassifizierung nach dem Hauptprodukt höheren Klassen zuzuordnen. Dies betrifft beispielsweise Software oder Apps, die Informationen eines anderen Medizinprodukts aufbereiten und so den Arzt oder den Patienten über die Parameter eines Herzschrittmachers oder einer Insulinpumpe informieren. Die App wäre, wie der Herzschrittmacher, der Klasse III zuzuordnen und somit nicht vom Versorgungsanspruch umfasst. Und dies, obwohl die hiermit verfügbar gemachten Funktionen "ähnlich einem Tagebuch der Auswertung der Versorgung dienen und geeignet sind, Komplikationen in der Versorgung aufzudecken oder die Compliance des Patienten zu erhöhen", so der MedTech-Verband.

Die bisher geplante Regelung würde also nur digitale Gesundheitsanwendungen erfassen, die der Kontrolle von physiologischen Prozessen dienen, die Kontrolle von vitalen physiologischen Prozessen hingegen nicht. "Faktisch gewährt die geplante Regelung daher nur den Anspruch auf Medizinprodukte mit einfachster digitaler Technologie. Die Möglichkeiten, die digitale Gesundheitsanwendungen zur Verbesserung von Versorgung und Versorgungsprozess bieten, können somit nicht gehoben werden", begründet der BVMed seinen Vorschlag zur Ausweitung der Regelung.

Ein weiteres Anliegen des MedTech-Verbandes: Haben sich digitale Lösungen über Selektivverträge bewährt, müsse ein Übergang in die Regelversorgung – und somit in das Verzeichnis für digitale Gesundheitsanwendungen – möglich sein. Eine Teilnahme an den Vertragsmodellen der Besonderen Versorgung sollte zudem grundsätzlich allen Arztgruppen offen stehen, also beispielsweise auch Klinikärzten. Denn die Anwendung digitaler Lösungen finde auch in Kliniken statt. Gleiches gelte für Telekonsile. Auch diese Möglichkeit müsse stationär genutzt und abgerechnet werden können.

Wichtig ist dem BVMed auch ein zügiger Zugang der Versicherten zu telemedizinischen Versorgungen, die im Zusammenhang mit einem Implantat stehen. Dazu müsse der Bewertungsausschuss eine Verfahrensordnung über die Aufnahme in den Einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM) erstellen, die neue telemedizinische Leistungen regelt, die sich auf die Auswertung der Daten (Telemonitoring) eines im Krankenhaus implantierten Medizinproduktes mit Sendefunktion bezieht.

Bei den Regelungen zur Telematikinfrastruktur und dem eRezept fordert der BVMed in seiner Stellungnahme zum DVG die Anbindung sonstiger Leistungserbringer wie Hilfsmittel-Leistungserbringer oder Homecare-Unternehmen. "Von besonderer Bedeutung ist die Einbindung der sonstigen Hilfsmittelleistungserbringer in die digitalen Strukturen im Zusammenhang mit der Einbindung der Apotheken in die digitalen Strukturen sowie mit der Einführung der Option einer digitalen Hilfsmittelverordnung" (eRezept). Aufgrund der bestehenden Wettbewerbssituation zu den Apotheken, die ebenfalls in der Versorgung mit Hilfsmitteln tätig sind, bedarf es hier einer zeitgleichen Integration der Hilfsmittelleistungserbringer in die digitalen Strukturen sowie die sich anschließenden Anwendungen, so der BVMed.

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Quelle: Zentralverband Elektrotechnik- und Elektronikindustrie e.V. / Bundesverband Medizintechnologie e.V.